Sinn in der Krise

Eine Lebenskrise bringt Dinge ins Wanken. Sie bringt Unsicherheit und oft schmerzhafte Erkenntnis, dass alt Bewährtes, Erhofftes oder Bekanntes nicht mehr trägt. Häufig führt eine Krise zum Zerbruch lang gehaltener Vorstellungen oder Lebensentwürfe. Ein Bericht von Dr. Sabine Pashkevich, Ärztin in der DGD Klinik Hohe Mark.

Durch eine solche Krise ging ich in dem Jahr als ich 50 wurde. Es war das Jahr 2011, als das Land, in dem ich in den vergangenen 19 Jahren mein Zuhause hatte, einen politischen Zusammenbruch erlebte, von dem es sich bis heute nicht erholt hat. Ein Land im mittleren Osten, in dem ich meinen Ehemann kennengelernt, unsere beiden Kinder zur Welt gebracht und mich in das Leben der einheimischen Bevölkerung als Ärztin und als Nachbarin investiert hatte. Von diesem Land und den liebgewordenen Menschen galt es sich jetzt zu verabschieden, ohne Hoffnung auf ein Wiedersehen. Ein Neuanfang mit 50 in Deutschland, wo ich außer meinen Eltern kaum jemanden kannte. Mit einem Ehemann, der nur Anfängerdeutsch sprach und 2 Teenagern, denen Deutschland fremd war und die aus einem englischsprachigen Schulsystem kamen. Wie heißt es so schön: jede Krise birgt auch eine Chance. Meine Chance war gekommen, den Glauben an einen liebenden Vater Gott, der mich bis hierhergebracht hatte, auf seine Tragfähigkeit zu testen. In der Bibel finde ich den Zuspruch Jesu, bei mir zur sein und mich zu versorgen. Beides hatte ich sehr nötig in meiner Situation. 

Sinnstiftende Arbeit 

Ich durfte die wunderbare Erfahrung machen, dass ich nicht nur die Kraft zu einem beruflichen Neustart als Ärztin bekam, sondern durch meine Arbeit an der Hohen Mark auch in ein soziales Netzwerk integriert wurde. Die Seelsorgerin der Klinik wurde zu einer Freundin. Durch die selbst erlebten Verluste und der damit verbundenen Trauer kann ich Menschen in Krisen in empathischer Weise begleiten und empfinde meine Arbeit bis heute als sinnstiftend. Immer wieder behandle ich Patienten und Patientinnen, die traumatische Erfahrungen in ihrer Kindheit gemacht haben. Von einigen bin ich in besonderer Weise berührt worden. 

Würde zusprechen 

Da ist zum Beispiel ein Patient, der von seiner Mutter schwerst misshandelt und gedemütigt wurde. Beim Erzählen seiner Geschichte bemerkte ich, dass ihm als Kind die Würde geraubt wurde und teilte ihm meinen Eindruck mit. Es war ein bewegender Moment, als er sich später selbst die Würde zusprechen konnte, die ihm seine Mutter versagt hatte. Dass ich ihn dabei als mütterliche Therapeutin begleiten durfte, war für uns beide von besonderer Bedeutung. 

Auf ungewöhnliche Wege einlassen 

Eine andere Patientin, die aufgrund ihrer Geschichte Schwierigkeiten hatte über ihre Gefühle zu sprechen, drückte sich durch gemalte Bilder aus. Dies war für mich nicht leicht, da normalerweise Therapie bei mir über Gespräche läuft. Ich entschied mich, die Herausforderung anzunehmen und mich auf die Bildersprache der Patientin einzulassen. Durch meine Bereitschaft mit ihr diesen ungewöhnlichen Weg zu gehen, fasste die Patientin Vertrauen und es gelang ihr im Verlauf immer besser Worte für ihr Erleben zu finden. Ein Bild, das sie mir zum Abschied schenkte, hängt noch heute in meinem Sprechzimmer. Es stellt uns beide auf einem Pferd dar, das auf dem Weg zu einer Herberge ist. Ein Vers aus der biblischen Geschichte vom „barmherzigen Samariter“ ist zur Erklärung beigefügt: „Er sah den Misshandelten, pflegte seine Wunden mit Öl und Wein und verband sie. Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier und brachte ihn in eine Herberge“ (Lukas 10,34). Sinn in der Krise zu finden und damit Mut zum Weiterleben ist für mich eine Erfahrung zum Weitergeben. 

Dr. Sabine Pashkevich, Ärztin in der DGD Klinik Hohe Mark 

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