Interview zum Thema "Depressionen"

Interview mit Dr. Martin Grabe zum Thema "Hilfe bei Depressionen"

Es ist zwar kein offizieller UN-Welttag, aber am 13. Januar versuchen verschiedene Gesundheitsorganisationen über das Thema "Depressionen" zu informieren. Wir haben zu diesem Anlass ein Gespräch mit Dr. Martin Grabe geführt. Er ist Chefarzt der DGD Klinik Hohe Mark und war von 2018 bis 2024 Ärztlicher Direktor.

Herr Dr. Grabe, die Berichterstattung zu Depressionen hat zugenommen, wie hat sich das Thema in den letzten Jahren entwickelt?

Dr. Martin Grabe: Die dramatischste Entwicklung ist sicherlich bei Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen. Hier gab es eine enorme Zunahme infolge der Corona-Pandemie. Der Anstieg ist aber nicht mit der COVID-Infektion selbst zu erklären, sondern vielmehr mit begleitenden Maßnahmen wie „Homeschooling“ und Abstandsregeln. Hier gab es für viele Kinder und Jugendliche enorme Belastungsfaktoren durch soziale Isolation. Es ist derzeit noch nicht klar, ob oder wann sich dieser Anstieg wieder normalisiert.

Auch zur Lage bei Erwachsenen liest man aber immer wieder dramatische Zahlen.

Hier ist die Lage komplizierter. Die Zunahme erfasster Depressionen hängt auch einfach damit zusammen, dass Depressionen heute besser und damit auch häufiger diagnostiziert werden. Diese Entwicklung sehen wir auch bei anderen psychischen Erkrankungen. Hausärzte beziehen viel stärker als früher solche Erkrankungen in ihre Erklärungsmodelle ein. Aus der Zunahme der Diagnosen kann man aber nicht direkt eine Zunahme der Erkrankungen ableiten, denn wir sehen parallel erfreulich rückläufige Suizid-Raten. Das hängt ebenfalls mit der früheren und besseren Diagnostik sowie einer kompetenteren Behandlung von Depressionen zusammen.   

Die professionelle Diagnostik hat sich verbessert, aber wie sieht es bei den Betroffenen selbst aus? Woran merkt man, dass es sich um eine Depression handelt und nicht nur um eine schwierige Lebensphase?

Die Betroffenen merken das oft erst sehr spät, die Probleme werden eher von den Menschen in der Umgebung wahrgenommen. Menschen mit Depressionen verstricken sich oft in Sorgen und Grübeleien. Dass es ihnen nicht gut geht, führen sie dann allein auf die Themen dieser Sorgen zurück. Da geht es zum Beispiel um die Angst zu verarmen oder um Schuldgefühle. Erst wenn die Krankheit voranschreitet, ist es auch für Betroffene irgendwann unübersehbar, dass etwas nicht stimmt, etwa wenn sich eine Antriebslosigkeit so entwickelt, dass schon kleinste Aufgaben nicht mehr bewältigt werden können. 

Wie sollten sich am besten Freunde und Angehörige verhalten, wenn sie diese Probleme bemerken?

Freunde und Angehörige versuchen häufig über einen langen Zeitraum, die Betroffenen mit Argumenten davon zu überzeugen, dass ihre Ängste und Sorgen übertrieben oder unbegründet sind. So geht wichtige Zeit verloren, denn es gehört zum Wesen des Krankheitsbildes, dass Betroffene bei diesen Themen rational nicht mehr abgeholt werden können. Das Wichtigste und Beste, was Freunde und Angehörige tun können, ist, dass sie Betroffene so früh wie möglich dabei unterstützen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.  

Wie läuft diese Hilfe ab? Was sind die wichtigsten Elemente der Behandlung von Depressionen?

Das hängt stark von den Ursachen der Depression ab. Einige Arten haben rein körperliche Ursachen, etwa bei einem Mangel von Schilddrüsenhormonen. Hier können Depressionen sehr unkompliziert mit einer Ergänzung der fehlenden Hormone behandelt werden. Die meisten Arten von Depressionen haben aber psychische Ursachen. Ausgelöst werden sie hier etwa durch belastende Lebensereignisse oder die Ursache liegt in inneren Konflikten, die meist schon in der Kindheit entstanden sind, aber durch aktuelle Lebensereignisse wiederbelebt, also reaktualisiert werden. Hier ist das Mittel der Wahl die Psychotherapie. Medikamente, also Antidepressiva, können unterstützend dazu kommen, sie spielen aber nicht die Hauptrolle in der Therapie. Konflikte und Defizite, die aus der Kindheit überdauert haben, können in der Psychotherapie aufgearbeitet werden, um die Ursache der Depression zu beseitigen.

Wie sind die Nebenwirkungen von Antidepressiva heute einzuschätzen?

Manche Psychopharmaka, etwa Tranquilizer, haben ein hohes Suchtpotenzial, andere, insbesondere viele der älteren Medikamente, auch erhebliche Nebenwirkungen. Moderne Antidepressiva gehören erfreulicherweise nicht dazu. Diese Medikamente, etwa die SSRI, also Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren, machen nicht abhängig und die meisten Menschen vertragen sie gut. Aufgeklärt werden müssen Patientinnen und Patienten aber über eine mögliche appetitsteigernde Wirkung einiger Antidepressiva. Damit muss man bewusst umgehen, sonst kann es zu einer Gewichtszunahme kommen.

Wie aussichtsreich ist die Behandlung, welchem Anteil der Betroffenen kann geholfen werden?

Die gute Nachricht ist: Nahezu allen Patientinnen und Patienten kann geholfen werden. Allerdings ist der Weg zur Besserung unterschiedlich lang. Für alle Betroffenen gilt: Je früher eine professionelle Behandlung in Anspruch genommen wird, umso schneller setzt der Behandlungserfolg ein und umso nachhaltiger ist dieser Erfolg auch. Es gibt unter Psychiatern den Satz „Gehirn lernt Depression“. Je länger in einem Gehirn etwa „Grübelschleifen“ ablaufen, umso schneller und öfter fällt das Gehirn auch wieder in das erlernte Muster dieser Erlebnisverarbeitung zurück. Daher ist es entscheidend, so schnell wie möglich mit einer Behandlung zu beginnen, damit sich Depressionen gar nicht erst im Gehirn verfestigen können. 

Was steht denn einer frühzeitigen Behandlung im Weg?

Es gibt leider immer noch viele Vorurteile gegenüber psychisch kranken Menschen. Diese Stigmatisierung verhindert, dass Betroffene frühzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Viele Menschen suchen erst Unterstützung, wenn wirklich gar nichts mehr geht. Aber nach Jahren des Leidens ist dann eben auch die Behandlung komplizierter. Dazu kommt, dass zwar bei Ärzten die Kompetenz bei psychischen Erkrankungen zugenommen hat, aber insgesamt noch viel Aufklärung nötig ist. Freunde und Angehörige können Betroffene nicht mit Argumenten überzeugen, etwa, dass ihre Sorgen übertrieben sind. Aber sie können eine wichtige Rolle übernehmen, insbesondere wenn sich Betroffene aufgrund ihrer Antriebslosigkeit keine Hilfe suchen, indem sie diesen helfen, den notwendigen Arzttermin zu bekommen und sie gegebenenfalls auch dorthin zu begleiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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